Systemische Beratung: Nachhaltigkeit und Verantwortung

Nachhaltigkeitsparadigma, SDGs, ESGs, CO2-Steuer: Die Dringlichkeit ist zumindest teilweise erkannt und es gibt branchenübergreifende Einigkeit darüber, dass Nachhaltigkeit wichtig ist. Was das aber wirklich heißt, wie oft wir uns auch als BeraterInnen Dinge schönreden und wie ein ehrlicher Beitrag zur Rettung unserer Erde aussehen kann, das ist etwas, das es zu klären gilt.

edited by Thimo Fiesel
Jahr 2022

Die Grundannahmen: Zum einen wird erkannt, dass wir mit einer Ressourcen schonenden Produktion Kosten reduzieren können. Zum anderen gibt es, zumindest in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen, ein gesteigertes Bewusstsein der Kunden, die immer mehr nachhaltige Produkte nachfragen und bereit sind, dafür einen höheren Preis zu zahlen. Kurzum – wir befinden uns derzeit inmitten einer Transformation: einer Transformation, die auch, aber nicht nur, aus dem eigenen Antrieb heraus gesteuert wird.

Wir müssen uns weg vom „Höher-Schneller-Weiter” hin zu einem „Was braucht es wirklich…” bewegen.

Vielmehr ist es ein Prozess, der auch mit den aktuellen weltweiten Krisen, der geopolitischen Situation und auch dem Druck aus der EU, Lieferketten nachhaltiger zu gestalten, zusammenhängt. Die Frage wird sein, ob der Wille zur Veränderung anhält und wie die Beratungsbranche zu ebendieser Veränderung beiträgt – auch wenn das bedeutet, dass wir uns vom „Höher-Schneller-Weiter” hin zu einem „Was braucht es wirklich…” bewegen müssen.

Nachhaltigkeit und Beratung – ein ungleiches Paar?

Was bedeutet das aber gleichzeitig für die Beratungsbranche, wenn unsere Kunden – Unternehmen und Organisationen – nachhaltiger werden?

Die erste Hypothese ist, dass systemisches Consulting per se, zumindest im Sozialen, nachhaltig ist, weil wir im Kundensystem den Rahmen dafür schaffen, dass alle für die jeweilige Herausforderung relevanten Faktoren beleuchtet werden können. Die Lösungen, die damit erarbeitet werden, wirken (sozial) nachhaltig und ziehen alle möglichen Perspektiven in Betracht.

Die zweite Hypothese lautet, dass in Bezug auf unser eigenes Verhalten als BeraterInnen durchaus Luft nach oben ist, was vor allem den ökologischen Teil der Nachhaltigkeit betrifft. Hier ein paar Beispiele bzw. Gedanken:

  • Es ist nicht unerheblich, wie wir unsere Dienstreisen gestalten: Mit dem Zug lassen sich beispielsweise viele Tonnen CO2 in einem BeraterInnenjahr einsparen. Wenn ich beispielsweise 6x im Jahr von Kufstein (Tirol) nach Berlin reise und zumindest eine Strecke mit dem Zug zurücklege, dann spare ich viele Kilogramm CO2 ein.
  • Welche Materialien verwenden wir für unsere Workshops – Recyclingpapier und wiederbefüllbare Stifte?
  • Bieten wir Beratungsleistungen bspw. für NGOs an, die sich nur geringere Tagessätze leisten können, aber dringend Beratung brauchen, um ihre gesellschaftspolitischen Ziele gut verfolgen zu können? Das würde im Einzelfall unsere Deckungsbeiträge verändern und wir hätten die Chance, unseren eigenen Blick auf unser Wachstum hinterfragen zu können. Es würde uns zusätzlich die Chance geben, unser systemisches Know-how Organisationen zur Verfügung zu stellen, die oftmals prekär finanziert sind, aber einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen Transformation leisten.

Die Haltungsfrage hinter der eigentlichen Umsetzung

All diese Fragen sind Teil des Gesamtprozesses. Nicht einmal die Frage nach dem „wiederbefüllbaren Stift” ist vernachlässigbar: weil es einen Unterschied macht, mit welcher Haltung wir als BeraterInnen unterwegs sind. Ich für meinen Teil ertappe mich immer wieder dabei, dass ich mir Dinge selbst schönrede – wenn ich beispielsweise doch den Flieger für den Hinweg buche, weil ich so morgens noch mit meinen Kindern frühstücken kann und nicht um 5 Uhr aufstehen muss. Unterm Strich sind es diese kleinen Entscheidungen, die jeder selbst treffen kann und muss.

Aber auch als Beratungsorganisation müssen wir uns den Fragen nach unserem Selbstverständnis stellen. Im Sinne unserer systemischen Herangehensweise wird es auch bei ComTeam unterschiedliche Blickwinkel zu diesem Thema geben. Diese Blickwinkel werden Diskursräume öffnen und jeweils einen Platz finden. Eine Haltung werden wir dazu trotzdem erarbeiten müssen – eine Haltung der Balance und der Klarheit. Ich freue mich auf unseren Weg dorthin.

Der Autor

Thimo Fiesel

ComTeamGroup, Österreich